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München, 29. März 2023 | Der Bausektor steht vor einer immensen Herausforderung: Um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, müsste er bis 2045 seine Emissionen auf Null senken. Der größte Hebel der Branche für den Klimaschutz ist die Revitalisierung des gesamten Gebäudebestands in Deutschland. Timo Brehme, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Planungs- und Beratungsunternehmens CSMM, das seit 20 Jahren für seine visionäre Büroarchitektur und Arbeitsweltkonzepte im In- und Ausland bekannt ist, fordert von der Politik eine klar definierte und realistische Ausrichtung des gesamten Transformationsprozesses. „Statt in Schlagworten nur Ziele zu definieren, braucht es konkrete Bemessungsgrundlagen und Handlungsanweisungen an die Beteiligten aller relevanten Ebenen.“
Als einer der Erstunterzeichner rief CSMM deshalb im Herbst 2022 mit 170 Stakeholdern aus der Bau- und Immobilienbranche in einem offenen Brief an Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) den temporären Abriss-Stopp von Bestandbauten aus. Im sogenannten "Abrissmoratorium" fordern die Aktivisten u.a. die verpflichtende Prüfung von Abrissvorhaben unter sozialen und ökologischen Umweltwirkungen. Wer ein Gebäude abreißen will, müsste zunächst nachweisen, dass es nicht mehr zu retten ist. „Uns ist es wichtig, dass die verpflichtende Abrissvermeidung als Kriterium in die innerhalb der EU-Taxonomieverordnung definierten ESG-Richtlinien aufgenommen wird", erläutert Timo Brehme das Ziel des Vorstoßes. Die Verordnung wird als wichtiges Instrument erachtet, Wirtschaftstätigkeit einheitlich auf ihre ökologische Nachhaltigkeit hin zu bewerten. Die Auflage nachhaltiger Finanzinvestitionen greift unmittelbar in den Bausektor ein. „Taxonomie-konforme Planungsobjekte müssen sich in den Bereichen Environment, Social und Governance (ESG) beweisen können“, erläutert Timo Brehme. Und führt aus: „Die Zielsetzung ist komplex. Klimaschutz gelingt nur, wenn Gebäude umweltschonend errichtet und bewirtschaftet werden. Mit dem Einsatz natürlicher Baustoffe ist es längst nicht getan, denn Erhebungen belegen, dass ohne ein optimiertes Energiemanagement im Gebäude kaum nennenswerte Effekte erreicht werden können.“
Kein Abriss ohne Ökobilanzierung
Die ganzheitliche Bewertung von Immobilien rücken ihren Lebenszyklus in den Fokus und verdeutlicht, wie ökologische, ökonomische und soziale Aspekte in der Abwägung berücksichtigt werden müssten. Architects for Future (A4F) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) unterstützten das Abrissmoratorium mit ihrem Forderungspapier vom Dezember 2022: "Abrisse müssen auf der Grundlage einer Ökobilanzierung genehmigungspflichtig werden." Derzeit werden jährlich mindestens 14.000 Gebäude abgerissen - meist ohne Prüfung, ob ein Gebäude in seiner Gesamtheit oder zumindest einzelne Bauteile weitergenutzt werden könnten. „Wir sollten grundsätzlich bei jedem Projekt abwägen, ob es sich lohnt, den Gebäudebestand zu erhalten“, betont Timo Brehme. „Die Sanierung, Weiterentwicklung und energetische Verbesserung von Bestandsgebäuden bleiben das wirksamste Mittel gegen die Energie- und Klimakrise“, führt Timo Brehme aus.
Allein der Rohbau eines neuen Gebäudes macht etwa 40 Prozent der Baukosten aus, hierauf entfallen aber bis zu 80 Prozent des Energieverbrauchs beim Bau. Die einem bestehenden Gebäude innewohnende graue Energie zu bewahren, muss daher aus Sicht von CSMM im Fokus stehen. „Es lohnt sich, alter Bausubstanz ein zweites Leben zu schenken“ kommentiert Brehme und verweist auf die Entwicklung der unter dem Namen „Fritz“ bekannten, 1973 erbauten Gewerbeimmobilie in der Münchner Innenstadt. Mit dieser setzte CSMM ein vielfach gelobtes Zeichen für Revitalisierung und nachhaltige Bebauung im Bestand.
Kein Abriss ohne Fokus auf den Materialkreislauf
Ist das Ergebnis der Ökobilanzierung, dass ein Altbau ökologisch und wirtschaftlich nicht sinnvoll zu erhalten und zu revitalisieren ist, hat er nicht einfach ausgedient. Statt Baumaterialien und -Bauteile zu entsorgen, ist es klimarelevant, die in ihnen gespeicherte graue Energie zu erhalten. „Unsere Gebäude sind Baustofflager für die Zukunft“, betont Timo Brehme. „Altmaterial, das beim Rückbau anfällt, muss für einen etwaigen Neubau an anderer Stelle eingeplant werden können. Indem wir die Materialien so sortenrein wie möglich trennen und für den weiteren Gebrauch verwahren, haben wir einen wichtigen Hebel geschaffen, den Bedarf an energieintensiven und klimaschädlichen Baustoffen wie Beton und Stahl zu vermindern“, erläuert der Geschäftsführer von CSMM. Mineralische Baustoffe wie Beton oder Ziegel können beispielsweise zu fast 100 Prozent aufbereitet und wieder verwertet werden. „In den Planungsprozessen für Neubauten haben wir die Möglichkeit, mit der Unterstützung durch BIM zuverlässige Aussagen über Abfallvermeidung, Recycling und die Optimierung der Ökobilanz zu machen“, fügt er hinzu. „Ein Kreislaufwirtschaftliches Bauen wird erst möglich sein, wenn wir bei der Wahl der Baustoffe und der Baukonstruktion den Lebenszyklus des Gebäudes, seinen Standort und seine Nutzung ganzheitlich antizipieren und entwicklungsoffen konzipieren.“ Laut Statistiken können hier bis zu 25 Prozent geringere CO2-Emissionen für die Konstruktion und den Energieeinsatz in der Nutzungsphase erreicht werden. „Die Förderung neuer Prozesse zugunsten des Klimaschutzes innerhalb des Bauwesens, die Auflagen für investitionsbereite Unternehmen und Immobilieneigner verändern unsere Branche und wird auch die Nachfrage nach Taxonomiekonformen Objekten zukünftig signifikant steigen lassen“, so Brehme.
Neben dem Klima- und Ressourcenschutz definiert die EU-Taxonomieverordnung auch soziale Dimensionen, die künftig berücksichtigt werden müssen. “Der Nachweis der Sozialverträglichkeit gehört unbedingt in die Abwägung eines Abrisses, schließlich ist der Erhalt kultureller Werte und einer historisch den Standort prägenden Architektur ein wichtiges Identitätsmerkmal einer modernen Gesellschaft.“ Vorhandene Flächen sinnvoll zu nutzen, um die Kraft der Orte über Generationen zu entfalten und baukulturelle Mehrwerte für Menschen zu schaffen, das gehört laut CSMM in den Verantwortungsbereich aller Beteiligten.
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